“Ich will etwas hervorheben, das nicht leicht in Worte zu fassen ist, und wenn, fehlt oft das Gefühl dabei.” INTERVIEW mit Tamara Giesberts

Tamara Giesberts Gemälde kreisen um das Gebaute, um Innenräume und architektonische Strukturen. Immer sind sie dabei menschenleer. “Ich will etwas hervorheben, das nicht leicht in Worte zu fassen ist, und wenn, fehlt oft das Gefühl dabei”, sagt die Künstlerin. Das “Ich” und seine emotionale Reaktion auf die Umwelt spielen eine zentrale Rolle für sie. Ihre gemalten Bauten begegnen als Zeit-Zeugen, die die Vergänglichkeit und den Blick in die Zukunft gleichermaßen illustrieren.

Ballroom Dining, Acryl auf Leinwand, 90 x 120 cm, 2012

Ballroom Dining, Acryl auf Leinwand, 90 x 120 cm, 2012

Die Niederländerin Tamara Giesberts (1978) ist Künstlerin – und Architektin. Seit 2006, nach Abschluss ihres Architekturstudiums, ist sie als Künstlerin unterwegs und arbeitet immer auch als Architektin. Schon parallel zu ihrem Studium der Architektur an der Delft University of Technology, hat sie immer wieder Kunstkurse belegt, etwa einen Summer Course in Advanced Painting (Ira Richer) an der School of Visual Arts, New York. Ihre Gemälde waren in den letzten Jahren von Heidelberg über Niederlande bis Philadelphia zu sehen.

Im Interview mit deconarch.com verrät Tamara Giesberts, welche Vorzüge die künstlerische Arbeit gegenüber der praktischen Architektur bieten, warum sie aber beide nicht missen möchte und wie sie sich gegenseitig beeinflussen.

illus. (c) Tamara Giesberts

INTERVIEW

Du bist Architektin und arbeitest auch in diesem Business. Darüber hinaus bist du seit 2006 auch als Künstlerin unterwegs? Warum? Welche Möglichkeiten bietet dir die künstlerische Arbeit?

Kongresshalle, Acryl auf Leinwand, 90 x 120 cm, 2012

Kongresshalle, Acryl auf Leinwand, 90 x 120 cm, 2012

Kunst ist für mich die geeignete Weise, um die Verwunderung, zu der die Welt mich anregt, zu verarbeiten. Erstaunen, Bewunderung oder Entrüstung sind in mir immer heftig anwesend. Sobald ich selber bestimmen kann, wie ich meine Zeit verbringe, ziehe ich es vor zu malen und zu zeichnen, um mich mit meinen Gedanken und Eindrücken auseinanderzusetzen. Auf der theoretischen Seite gehört auch das Lesen dazu, auf der bildenden Seite die Architektur. Das Gebaute ist ein stiller Zeuge der Vergangenheit und damit ein Symbol der unwiderruflichen Zeit. Denn Zeit vergeht und bringt damit ein Ende: Das bevorstehende Ende ist überall spürbar. Im Planen und Entwerfen von Räumen, Gebäuden und Gebieten schimmert immer auch die Hoffnung durch, die auch an Kindern und Jugendlichen hängt: Die Zukunft ist vielversprechend, alles ist noch möglich.

Wie beeinflusst das Architektur-Schaffen deine künstlerische Arbeit? Gibt es wechselseitige Einflüsse?

Foyer, Acryl auf Leinwand, 90 x 120 cm, 2011

Foyer, Acryl auf Leinwand, 90 x 120 cm, 2011

Die Architektur erfordert ein technisch-räumliches Verständnis. Ich zeige in meinen Bildern oft die Perspektive eines Raums und Durchblicke. Zeichnen zu können heißt: gut hinschauen. Dies bietet auch wieder Vorteile für das Entwerfen. Aber eigentlich werden hier Kunst und Architektur aus einem gemeinschaftlichen Brunnen bedient, der wohl mein Interesse an der Zeit ist.

Warum Architektur? Was interessiert dich an der Beschäftigung mit Gebautem?

Schon als ich jung war, haben mich Städte sehr fasziniert. Eine große Stadt gibt mir ein Gefühl eines weiten Blicks, von Relativität: Es gibt noch soviel mehr! Ein Gefühl, das auch ein Flughafen geben kann. Es herrscht eine Internationalität, die mich begeistert. Lebenslust! Und gleichzeitig tanzt man auf dem Akkord zwischen “Alles ist möglich” und einer Anonymität, die einen klein macht und die Gefahren mit sich bringt, in denen man sich verlieren kann.

Ein kleines Dorf dagegen interessiert mich auf andere Weise: Es weckt mein Verlangen nach früher, nach meiner Jugend, nach Ruhe und Natur und Trost. Aber mir ist auch stark bewusst, welche sozialen Unfreiheiten dort herrschen können, die eine Person klein halten. Deswegen ist das Licht, das in meine Häuser dringt, so traurig und melancholisch. Damit muss ich arbeiten. Architektur greift in diese Situationen ein und beeinflusst den Blick.

The Hallway, Acryl auf Leinwand, 90 x 120 cm, 2008

The Hallway, Acryl auf Leinwand, 90 x 120 cm, 2008

Ein solcher Blick begegnet etwa in “The Hallway”, das du während deiner Zeit in den USA gemalt hast.

Dieses Bild hat mit einem Besuch in Philadelphia begonnen, als ich in den USA lebte. Eine der Sehenswürdigkeiten gefiel mir so, dass ich sie auf Leinwand skizzierte: ein Flur mit einer Tür rechts und einem langen Blick auf eine Treppe, die nach oben führt. Ich habe immer gern einen Ausblick nach “hinten” oder nach “draußen”, man muss immer weggehen können. Diese beiden Elemente passten jedoch nicht in die Komposition. Spuren davon kann man noch sehen. Man spürt, dass sie da waren. So wird die Idee vom Fortschreiten der Zeit noch verstärkt

Es ist niemand da, das freut mich, und zugleich macht es mich einsam. Ich fühle mich im Stich gelassen, aber auch behütet. Es macht neugierig und lässt spekulieren. Es ist klar, dass hier Menschen sind oder waren, aber wie, warum und wie lange? Man kann sehen, wie versucht wurde, ein Haus zu bauen, das Schutz bietet, Schutz gegen das Unbekannte und das zeitlich Begrenzte.

Wie unterscheidet sich die Arbeit als Architektin, das praktische Entwerfen vom künstlerischen Arbeiten? Gibt es da Unterschiede im Blick, im Interesse, in der Herangehensweise?

Auf jedem Fall! Als Künstlerin beginnt der kreative Prozess mit einem Gedanken oder mit einem Bild, das mich bewegt. Ich muss etwas damit tun, und es kommt ein Werk heraus. Ich verarbeite. Als Architektin jedoch, sind viele Einflüsse wichtig: die Lage (der Kontext der Natur, die sozialen Verhältnisse, ökonomische Kräfte, etc.), die Historie (zeitliche Lage), der Auftraggeber, … – ich bewege mich zwischen alle diesen Parteien und versuche ein Puzzle zu lösen.

Als Künstlerin versuche ich, ein allgemeineres Bild zu schaffen. Ein Bild, das eine Wahrheit über das Leben, über die Welt, so wie ich sie sehe, erzählt. Ich bin der Ausgangspunkt. Dagegen ist etwas Gebautes vor allem lageabhängig und sollte es auf jeden Fall auch sein. Ein guter Entwurf reagiert auf seine spezifische Lage, betont Kontraste und erhöht die Lebensqualität der Menschen. Hier sind andere der Ausgangspunkt.

Wie findest du die Motive, die Themen deiner Gemälde?

Voorkamer, Acryl auf Leinwand, 90 x 120 cm, 2011

Voorkamer, Acryl auf Leinwand, 90 x 120 cm, 2011

Ich reiße andauernd Artikel und Fotos aus der Zeitung, und ich mache selbst viele Fotos. Was mich anzieht, ist die Lebensweise, die klare Notwendigkeit, am Leben zu bleiben, die den Menschen treibt, und die ich in den Straßen oder Hallen, den Gebäuden, auf den Bildern sehe. Oft sind die Themen in meiner direkten Umgebung zu finden: Ich habe mich oft mit lokalen Bauweisen beschäftigt. Da ich meinen Wohnort schon oft gewechselt haben, konnte ich schon mehrere unterschiedliche Kulturen studieren. Wieso sehen Straßen oder Interieure in verschiedenen Ländern anders aus? Was ist anders? Mein Ausgangspunkt ist dabei immer die Suche nach Sicherheit.

Welche Ziele verfolgst du mit deinen Arbeiten?

Zum einen sind meine Arbeiten Resultat des (meines) kontinuierlichen Versuchs der Bewusstwerdung, zum anderen sind sie Kommunikationsmittel. Ich will etwas hervorheben, das nicht leicht in Worte zu fassen ist, und wenn, fehlt oft das Gefühl dabei.

Wie entsteht ein Bild? Wie ist dein Arbeitsprozess?

Ein Bild formt sich langsam, über Wochen oder Monaten, in meinem Kopf. Dann fange ich an, auf die Leinwand zu skizzieren, ganz grob, erst mit Kreide, dann mit Acryl, mit irgendwelchen Farben. Und wieder dauert es Wochen, bevor das Bild reif und reich genug ist. Es kann sein, dass es sich ganz anders entwickelt, als ich zuerst dachte. Es geht mir um die Reise, ich genieße den Prozess – und zugleich frustriert er mich! Ich komme erst zur Ruhe, wenn das Bild in meinen Augen fertig ist. Im Endeffekt liegen mehrere Schichten Farbe unter- und übereinander. Auch der Zufall erhält viel Raum.

Dreieckdecke, Acryl auf Leinwand, 75 x 100 cm, 2011

Dreieckdecke, Acryl auf Leinwand, 75 x 100 cm, 2011

Mit welchen Medien arbeitest du, warum?

Ich arbeite oft in Acryl. Mit dieser Technik werden ganz unterschiedliche Effekte möglich. Transparenz, aber auch opake Schichten, wässrige Flächen, aber auch trockene Stellen. Porträts arbeite ich jedoch in Öl, da diese bei mir feingliedriger sind. Öl lässt sich einfacher mischen. Ich skizziere oder zeichne mit allerlei, aber am liebsten mit Stiften. Skizzen mache ich schnell und viele, eine nach der anderen, als ob ich Fotos machen würde – ich möchte Ideen festhalten wie in einem Tagebuch. Dann bin ich auch mit einem Kugelschreiber glücklich.

Deine Räume sind menschenleer – dagegen stehen die Porträts, die einen bestimmten Menschen oder eine Gruppe von Menschen in den Blick nehmen. Zwei Pole?

Auf den Bildern ist kein Mensch zu sehen, jedoch ist immer zu spüren, dass da Menschen waren. Jederzeit könnte jemand in diese Räume kommen, es entsteht eine Spannung im Betrachter. Erwartungen, Hoffnungen, Verlangen, alles ist noch moglich! Tatschächliche Begegnungen bringen auch Ängste mit sich, man ist auf der Hut. Menschliche Beziehungen beinhalten oft auch Konkurrenz und Ablehnung, die Ausgeschlossenheit des Betrachterss könnte daher auch wie eine Entlastung erfahren warden. Andererseits haben wir alle Sehnsucht nach zwischenmenschlichem Kontakt. Wenn es zu keinen Begegnungen kommen kann – und das ist letztendlich in meinen Bildern der Fall -, unterstreicht dies die Einsamkeit des Individuums, gefangen in seiner eigenen Existenz.

Bei meinen Zeichnungen und Porträts von Menschen hingegen bin ich immer wieder verwundert. Ein Mensch ist etwas Fantastisches, die Leben der Menschen sind nie gleich, und somit sehen sie auch nie gleich aus! Auch hier wieder: Erwartungen, Hoffnungen, Verlangen, Zeit, Endlichkeit, das Leben…

 Liebe Tamara, herzlichen Dank für die Einblicke in deine Arbeit!

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