THE WRONG HOUSE – Hitchcock als Architekt? | REVIEW
„The history of architecture not only comprises the history of built constructions and unrealized projects designed by prominent architects but also the representations and evocations of architecture in the arts and popular culture. This is why the architectural historian should address the imaginary architecture of cinema.“ (10)
Schon der erste Satz bringt Wesentliches auf den Punkt, das letztendlich auch den Ansatz von deconarch.com umschreibt: Die gebaute, gestaltete Umwelt ist bedeutsam für uns, in der rasanten globalisierten Stadtentwicklung vielleicht mehr denn je. Hinzu kommt, dass diese (architektonisch) gestalteten Räume und Strukturen sind nicht nur dreidimensional und aus Mörtel und Backstein – oder aber heute treffender: aus Beton, Eisen, Glas – äußerst bedeutsam sind, sondern eben auch virtuell und ideell.
Wie sehr etwa Abbildungen ein bestimmtes Image von Rauminszenierung transportieren und prägen können, war zuletzt in der Frankfurter „Playboy Architektur“-Ausstellung Thema (deconarch.com Review). Was dabei bei einem gedruckten Magazin gelungen ist, ist umso mehr bei bewegten Bildern zu beobachten. Gerade im Film ist die Arbeit mit Raum fundamental – obwohl räumliche Strukturen und Architektur zunächst in erster Linie „nur“ als Hintergrund und Bühne des Geschehens fungieren.
Ein Regisseur, der in seiner Arbeit buchstäblich als Architekt gewirkt hat, ist Alfred Hitchcock (1899–1980). Für Hitchcock ist Raum „far from neutral and architecture plays an important role in his films“ (10).Wohl bedingt durch seinen Werdegang – Hitchcock hat zunächst Kunst studiert und danach im deutschen Kino der 20er Jahre als Setdesigner gearbeitet – hat er auch die Sets seiner Filme durchgeplant und gewissermaßen zu 100% genutzt, so sehr, dass er in Interviews immer mal wieder betont, bei Filmvorhaben zuerst das Set gesehen zu haben. In diesem Sinne haben denn auch die Drehorte, sei es im Studio, sei es „on location“, eine wesentliche Rolle im Gesamtgefüge seiner Filme gespielt.
The Wrong House
The Architecture of Alfred Hitchcock
Steven Jacobs
nai010 Rotterdam
ISBN: 978-94-6208-096-6
Paperback English 344 Pages
The Wrong House | Steven Jacobs zeichnet die Arbeit Hitchcocks als Architekt seiner Filme nach (natürlich immer in Zusammenarbeit mit einer Art Direction). In drei Kapiteln wird entfaltet, welche Rolle die räumlich-architektonische Gestaltung dabei spielt – motivisch (einzelne Elemente wie Treppen und Türknaufe; häufig ist auch ein Haus/Raum zentrales Thema einer Filmerzählung, man denke nur an das Bates Motel (Psycho) oder das Zimmer mit Blick in den Hof (Rear Window)) ebenso wie filmisch (Stimmung und Suspense durch bestimmte Ausleuchtung, Kameraführung, Schnitte).
Das ist hochspannend zu entdecken, denn in der Tat sind Hitchcocks dramatische Ideen visuell – man könnte gar soweit gehen und sich Godard anschließen: „What we remember are merely images.“ (29) Unvergessen etwa die Psycho-Duschszene – doch warum Janet Leigh duscht, was davor war, erinnert man nicht.
Spannend ist dies nicht nur, weil man eine andere Facette des berühmten Filmemachers kennenlernt, sondern auch der Architektur anders begegnet – denn aus Prinzip ist „The Wrong House“ konsequent auch als Architekturbuch gestaltet. Der dritte, umfangreichste Teil der Publikation ist Gebäude einzelner Filme gewidmet. Einem kurzen Abriss der Handlung folgen ausführliche Besprechungen der Rauminszenierungen. Es gibt Grundrisse, Zeichnungen, schwarzweiße Detailansichten, typische Architekturpräsentationen – nur werden hier eben keine haptisch existenten Bauten vorgestellt: „By taking into account perspectival distortions and by ‘simple’ (but complicated and labor-intensive) tricks such as counting footsteps or paving tiles, Hitchcock’s inherently fragmented cinematic spaces were translated – if possible – into spatially coherent architectural drawings. In some cases, drawings exposed architectural inconsistencies.“ (70f.)
Fast schon nebenbei nimmt man die zahlreichen Informationen zur Filmgeschichte und -filmkunst mit. Wie wurde in den alten Hollywood Studios gearbeitet? Mit welchen technischen Finessen werden bestimmte Einstellungen möglich? Zudem bettet Jacobs seine Ausführungen in umfangreiche philosophische und (film)theoretische Fundament ein, die komplexe Hintergründe gewissermaßen im Vorbeigehen vermitteln. Ein umfangreiches Buch, das einen in einen ganz anderen Architekturkosmos eintauchen lässt – und dabei auch spannend zu lesen ist!