„Wir wollen die Wahrnehmung für den realen Ort stärken. Wir suchen Möglichkeiten, in einer neuen verständlichen Sprache ‚er-leb-bare’ Räume zu schaffen.“ INTERVIEW mit Mader Stublić Wiermann

Das interdisziplinäre Berliner Medienkunst-Büro Mader Stublić Wiermann arbeitet seit mehreren Jahren an Medienprojekten im öffentlichen Raum. Schon während des Studiums in Karlsruhe entwickelten die Architektin Heike Wiermann und die beiden Medienkünstler Holger Mader und Alexander Stublić gemeinsam Projekte, die mit Video- und anderen Simulationstechniken die Grenzen der räumlichen Wahrnehmung hinterfragen.

in an other light, forum of light and architecture, Eindhoven, NL, 2009

in an other light, forum of light and architecture, Eindhoven, NL, 2009

Eine zentrale Rolle spielt dabei der Einsatz von Licht und Lichtbildern – Mader Stublić Wiermann werden daher häufig auch als Lichtkünstler bezeichnet –, aber auch die Möglichkeiten der digitalen Medien sowie allgemein der technischen Entwicklungen in Bereich der Projektionstechnologien. In ihrer künstlerischen Arbeit erforschen die Künstler den Stadtraum und setzen sich intensiv mit der vorgefundenen Architektur und der urbanen Situation auseinander. Unter ihren Eingriffen verwandeln sich die statischen urbanen Bauten in dynamische Raumobjekte. Die Licht-Schatten-Spiele der Lichtinstallationen überziehen die Bauwerke mit abstrakten Strukturen und Rastern, die Fassade wird überlagert, verfremdet, erweitert. Das Zusammenspiel von bewegter Oberfläche und fixer Gebäudearchitektur thematisiert Abstraktion und Realität, Dynamik und Statik, Simulation und Realität. Wahrnehmungsgrenzen lösen sich auf, die gewohnten Formen eines gebäudes werden aufgehoben.

Mader Stublić Wiermann gehören zu den wenigen Künstlergruppen, die sich mit der medialen Bearbeitung architektonischer Erscheinungsformen international durchgesetzt haben. Zu ihren Interventionen und Installationen im Stadtraum zählen Projekte wie das Uniqa-Hochhaus in Wien (2006), das Hooghuis in Eindhoven (GLOW 2009) oder das Avedöre-Kraftwerk in Kopenhagen (2009). Im Rahmen der Ruhr.2010 inszenierten die Medienkünstler gleich drei verschieden Projekte – flowing space, Twilight Zone (Stadthalle Mülheim), reflection, Twilight Zone (Möbelgeschäft von der Linden Mülheim) und 4D House, Twilight Zone (jüdisches Gemeindezentrum Duisburg).

Im Interview mit deconarch.com erläutern Mader Stublić Wiermann ihr Interesse an Räumen und deren Eigenschaften, die Arbeit mit realen und simulierten Räumen und klären die Frage, ob Lichtkunst oder Medienkunst.

all illus (c) Mader Stublić Wiermann

INTERVIEW

Sie haben unterschiedliche Backgrounds – Sie kommen aus der Architektur (H. Wiermann), aus der Medienkunst (H. Mader) und der Kunsttheorie (A. Stublić). Wie haben Sie zur Kunst gefunden? Welche Möglichkeiten eröffnet sie Ihnen?

twists and turns | Medienfassade

twists and turns | Medienfassade

Kunst ist experimentell angelegt, ein temporärer Testraum ohne die Zwänge der Nutzbarkeit. Wir können so sehr frei Grundlagenforschung betreiben und zur Diskussion stellen.

Sie arbeiten seit 2000 zusammen. Wie kam es dazu? Arbeiten Sie daneben auch „allein“?

Wir haben uns während unseres Studiums in Karlsruhe getroffen, teilweise zufällig. Da wir Architektur, Malerei, Film nicht als hermetische Arbeitsfelder, sondern als künstlerische Arbeit mit lediglich unterschiedlichen Materialien ansehen, spielt die „Ausbildung“ in der inhaltlichen Auseinandersetzung keine Rolle. Dadurch können wir unterschiedliche Materialien besser nutzen und kombinieren.

Wir arbeiten fast ausschließlich in der Gruppe – schon allein, um neben den Chancen auch die Risiken zu teilen.

Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihren Arbeiten?

flowing space, Ruhrlights: Twilight Zone, Ruhr.2010, Mühlheim an der Ruhr, 2010

flowing space, Ruhrlights: Twilight Zone, Ruhr.2010, Mühlheim an der Ruhr, 2010

Wir wollen die Wahrnehmung für den realen Ort stärken. Oftmals ist dieser überdeckt von Zeichen oder von Vorstellungen, die im virtuellen Raum erzeugt werden. Zudem tragen Gewohnheit und Geschwindigkeit dazu bei, dass räumliche Qualitäten verloren gehen.

Wir suchen Möglichkeiten, in einer neuen verständlichen Sprache „er-leb-bare“ Räume zu schaffen.

Wie finden Sie Ihre Motive und Themen?

Wir versuchen, unsere Umgebung zu beobachten und zu analysieren, unsere Wahrnehmung in Bezug zu unseren Lebensbedingungen zu setzen. Aus diesem Grund gibt es für uns auch keine Unterscheidung zwischen Normalität und Hochkultur. Der Supermarkt ist genau so interessant wie ein gutes Kunstwerk. Übrigens gibt es für uns auch keine Vorbilder im engeren Sinne, dafür aber verschiedene für uns interessante Verarbeitungen von Künstlern, Architekten oder Schriftstellern.

Wir arbeiten mit Licht, Video, Ton, räumlichen Elementen, Computersimulationen, Architektur, Zeichen, … – mit allen Mitteln, die raumbildende Eigenschaften haben können. Dazu gehen wir in der Ausarbeitung gern Kooperationen ein.

Würden Sie uns ein Projekt näher vorstellen? Etwa die reflection. Twilight Zone, eine Videoprojektion auf die Schaufenster eines Möbelladens in Mülheim an der Ruhr im Rahmen der RUHR.2010 …

reflection, Ruhrlights: Twilight Zone, Ruhr.2010, Mühlheim an der Ruhr, 2010

reflection, Ruhrlights: Twilight Zone, Ruhr.2010, Mühlheim an der Ruhr, 2010

Im Rahmen von Twilight Zone und RUHR.2010 konnten wir u.a. die Video-Projektionsarbeit reflection realisieren, die verschiedene Medien zur Herstellung eines Parallel-Raumes nutzt. Dieser Raum steht in vielfältiger Beziehung zum konkreten Ort.

Die Fenster des Schaufensterraumes wurden flächendeckend mit Videoprojektionen bespielt. Dazu wurde innen eine Rückprojektionsfolie aufgebracht und die im Inneren befindlichen 3 Projektoren über eine Mediensteuerung synchronisiert. Von außen ergab sich ein zusammenhängendes Bild. Die architektonische Umgebung wurde punktuell ausgeleuchtet. In einer mit der Videobespielung abgestimmten Choreografie dimmten einzelne Leuchten zeitweise ab.

reflection, Ruhrlights: Twilight Zone, Ruhr.2010, Mühlheim an der Ruhr, 2010

reflection, Ruhrlights: Twilight Zone, Ruhr.2010, Mühlheim an der Ruhr, 2010

Im 3D-Programm wurden virtuelle Raumkonstellationen entwickelt. Dabei wurden Teile der vorgefundenen Architektur bzw. städtebauliche Details der realen Umgebung im Virtuellen nachgebaut und in einen neuen räumlichen Kontext gestellt. Es entstanden mögliche und unmögliche virtuelle Räume, die über die Projektion in das reale Gebäude „eingebaut“ werden. Veränderliche Lichtquellen bewegen sich im Virtuellem durch die (projizierten) Räume und beleuchten sie punktuell. So wird die Beziehung zur Umgebung unmittelbar hergestellt. In abgedimmten Szenen und dunklen Bereichen des Videobildes spiegeln sich die beleuchteten Teile des Umraumes in der Scheibe.

Eine Toninstallation drang aus dem Raum-Inneren nach außen und unterstützte oder konterkarierte die aufgebaute Stimmung.

Das Fenster als Mittler zwischen Innen und Außen wurde hier zum Interface zwischen Realität und Simulation. Realer Raum, Spiegelbild und virtuelle Szenarien lagen an der Schnittstelle – dem in die reale Umgebung eingebetteten Fenster – in mehreren Schichten übereinander.

Die Installation verwendete Video nicht narrativ, Film wurde als „Baumaterial“ eingesetzt. Virtuelle Räume wurden als Teil der Architektur der Stadt etabliert: Sie können wie Architektur Träger von Utopien und Träumen sein. Sie können neue Realitäten erzeugen.

… ein anderes Beispiel von der Ruhr.2010 ist das 4D House.

4D House, Ruhrlights: Twilight Zone, Ruhr.2010, Duisburg, 2010 (Foto: Werner Hannappel)

4D House, Ruhrlights: Twilight Zone, Ruhr.2010, Duisburg, 2010 (Foto: Werner Hannappel)

Für das  wurde ein von Zvi Hecker geplantes Gebäude mit Videoprojektionen bespielt. Die Einzelprojektionen aus digital erstellten, abstrakten Strukturen waren dabei synchronisiert und so beschnitten, dass sie genau auf die unregelmäßigen Flächen der Gebäudeteile passten. Sie wurden auf verschiedene Art und Weise aus dem Licht- und Schattenspiel und dem Spannungsgehalt des Gebäudes entwickelt. Das Gebäude wurde maßstabsgetreu in 3D nachgebaut und mit den beschriebenen Strukturen bespielt. Licht-Spots im virtuellen Raum erzeugten bewegte Schatten auf dem simulierten Gebäude und legen sich über die abstrakten Strukturen.

4D House, Ruhrlights: Twilight Zone, Ruhr.2010, Duisburg, 2010 (Foto: Werner Hannappel)

4D House, Ruhrlights: Twilight Zone, Ruhr.2010, Duisburg, 2010 (Foto: Werner Hannappel)

Die ausladende Form der Architektur ließ viele Durchblicke zu und damit sehr unterschiedliche Kombinationen der verschiedenen Strukturen. Das Haus erzeugte so auf eigene Art und Weise räumliche Collagen. Es interpretiert das Video und ließ, je nach Bewegung des Betrachters, „spontane“ Konstellationen zu. Die Entwicklung der Choreografie wechselte zwischen realem und virtuellem Raum, sie durchlief verschiedene Stadien von Flächigkeit und Dreidimensionalität, von Abbild und Zustand.

Da die Bespielung aus der Form des Gebäudes selbst sowie seinem Spannungsgehalt entwickelt ist, sind die Licht-Strukturen kein Abbild, sondern werden durch die vorhandene Präsenz erzeugt – die dem Gebäude innewohnende Dynamik wird auf der Oberfläche visualisiert.

Die Installation interpretiert Video als Licht. Die Bespielung wird erst durch das Licht sichtbar (und durch Schatten unsichtbar) und liegt in verschiedenen Schichten auf und zwischen dem Gebäude. Die mit weißem Licht beleuchtete Oberfläche selbst ist ebenfalls eine „Bespielung“.“

Wie gehen Sie vor, wie ist Ihr Arbeitsprozess?

Wir erkunden zunächst den Ort in allen seinen Realitätsebenen. Dazu gehören neben der baulichen Beschaffenheit auch seine Geschichte, Töne, Ansprüche, Dynamik, Nutzung, … Um an dieser Komplexität der Schichten „zu kratzen“ etablieren wir Widersprüche, fügen Quer-Verweise und dynamische Elemente ein.

Um die Wirkung vorab prüfen zu können, arbeiten wir viel mit Computersimulationen, die das Ergebnis zumindest räumlich wiedergeben können.

Welche Rolle spielt der vorgefundene Raum, die architektonische Situation vor Ort?

Cube, Video Installation, ZKM Karlsruhe, 2001, Foto (c) Nina Vöge

Cube, Video Installation, ZKM Karlsruhe, 2001, Foto (c) Nina Vöge

Unsere Bespielungen im öffentlichen Raum sind immer an die Umgebung angepasst, die Installationen sollen sich in Dimension und Formensprache der Architektur annähern. Deshalb sind auch die choreografierten Abfolgen und abstrakten Bildinhalte nicht filmisch, sondern existieren im Raum. Es sind also eher architektonische Eigenschaften, die die Arbeiten charakterisieren. Das Medium Licht kann sich so in den Stadtkontext integrieren.

Licht-Projektionen spielen eine zentrale Rolle in Ihrer Arbeit. Daher werden Sie auch oft als Lichtkünstler bezeichnet. Licht- oder Medienkunst?

Lichtkunst ist ein riesengroßer, bereits definierter Komplex. Wir nehmen es gerne hin, als Lichtkünstler bezeichnet zu werden. Doch wir definieren uns selbst nicht als solche, weil wir im Gegensatz zur Lichtkunst mit verschiedenen Medien arbeiten. Ergebnisse unserer Projekte kann man zwar auch als Lichtkunst bezeichnen, doch ist unser Rahmen sehr viel weiter gespannt. Die Gedankenwelten eines Lichtkünstlers sind anders. Er hat ein stummes Medium zur Verfügung, das eher simpel und nur bis zu einem gewissen Grad manipulierbar ist. Wenn man vom Video kommt, dann hat man die Filmwelt als gedanklichen Hintergrund. Wir können auch narrativ arbeiten, also z.B. einen Film ablaufen lassen. Das kann man mit Licht schwer. Wir sehen uns eher in der Tradition der Entwicklung des abstrakten Films seit den 1920er Jahren.

Was ist Ihrer Meinung nach charakteristisch für Ihre Arbeit?

Das Einbringen von zeitbasierten Medien in den Stadtraum ist ein Mittel, das in unserer Arbeit häufig vorkommt, ebenso die Ergänzung von realen mit simulierten Räumen.

Zum Abschluss noch eine allgemeine Frage: Welche Bedeutung hat Architektur, die gebaute Umwelt für uns?

Wir schätzen den realen Raum, die Architektur, den belebten städtischen Umraum sehr hoch ein. Er ist Ort für gesellschaftliche Kommunikation, verortet aber auch den individuellen Bewohner in einem großen Ganzen. Dazu braucht der Raum eine Präsenz, die er unserer Meinung nach verloren hat – Schnelligkeit, „Virtualisierung“, technische Bilder u.a. „verdecken“ Realität, machen ihn zu einem (zweidimensionalen) Bild und als Zeichen konsumierbar (oft genug in kommerzieller Absicht).

Herzlichen Dank für die ausführlichen Informationen, Mader Stublić Wiermann!

 

 

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